Leiterplatten – kommt der Lieferengpass in der Supply Chain?
Von der Massenproduktion zur Mangelware – Veränderungen in der Leiterplattenindustrie deuten darauf hin, dass eine Verknappung bei Leiterplatten alles andere als unrealistisch ist. Es stellt sich nicht die Frage ob, sondern wann dieser Lieferengpass kommt.
Bei Leiterplatten ist eine Verknappung wie bei Kondensatoren und Widerständen sowie Lieferzeiten mit bis zu 50 Wochen für die meisten Einkaufsverantwortlichen nur schwer vorstellbar. Ist für viele Beschaffungsverantwortliche das „Betteln“ um die Zuteilung von MLCCs ein Grund für Stress, ist dies im PCB-Segment vor allem das Telefongeklingel unzähliger Leiterplattenanbieter. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass ein Mangelszenario bei Leiterplatten alles andere als unrealistisch ist. Es stellt sich nicht die Frage ob, sondern wann dieser Lieferengpass kommt.
Momentan stellt sich der Leiterplattenmarkt in Europa als ein Käufermarkt par excellence dar. Asiatische Billighersteller – meist in Kooperation mit Händlern – bieten Leiterplatten zu Dumpingpreisen selbst in kleineren Stückzahlen und Vorseriengrößen an. Dies setzt die europäischen Hersteller, fast zwei Drittel davon aus dem deutschen Sprachraum, immer stärker unter Druck. Zwar steigen in Asien die Lohnkosten stetig, doch fehlt noch immer eine weitgehende Internalisierung externer Umwelteffekte in der Kostenrechnung der strom- und wasserintensiven Produktion.
Zum Beispiel beschert die noch immer größtenteils auf fossiler Energiegewinnung basierende Stromerzeugung chinesischer Produzenten einen im Durchschnitt um 75% günstigeren Energiepreis, dem neben dem Basismaterial wichtigsten Kostenträger. Auch wenn in Fernost ein Umdenken hinsichtlich strengerer Umwelt- und Brandschutzauflagen mittlerweile stattfindet, in der praktischen Umsetzung sind Europas Hersteller noch immer exklusiver Vorreiter – und das leider auch bei den hierfür notwendigen Anpassungsinvestitionen.
Hinzu kommt, dass bislang selbst unrentable Betriebe in China auch weiterhin zu Dumpingpreisen Leiterplatten anbieten können, weil sie noch immer von einem aus europäischer Sicht undurchsichtigen Kreditvergabesystem „durchgefüttert“ werden.
2/3 aller in Europa nachgefragten PCBs kommen aus Asien
Der Trend zum Marktaustritt wird zudem genährt von Nachfolgeproblemen und Fachkräftemangel. Bezüglich Karriereperspektive und Work-Life-Balance hat eine chemielastige und in steter Konsolidierung befindliche Branche mit Drei-Schicht-Produktion wenig Attraktivität für junge Leute. Dem Beruf des Galvanotechnikers wird eine ähnliche Zukunftsperspektive wie die eines Steigers im Bergbau zugebilligt.
Die Folgen dieser Entwicklungen sind gravierend: Allein zwischen 2017 und 2018 hat sich die Anzahl der europäischen Hersteller um 10 Prozent von 223 auf 202 vermindert. Rund zwei Drittel aller in Europa nachgefragten Leiterplatten werden bereits in Asien gefertigt.
Abgesehen von jenen, die sich an der desaströsen Ökobilanz der in Fernost gefertigter PCBs stören oder Wert auf „Made in Germany“ legen, wird der Abbau lokaler Ressourcen den meisten Einkäufern wenig schlaflose Nächte bereiten, solange die zahlreichen Lieferquellen günstig und schnell liefern. Doch die Gefahr ist groß, dass genau diese Lieferquellen in Zukunft vielleicht versiegen könnten.
Spezialanwendungen mit Sonderdesigns im Kommen
Während die europäische Automobilelektronik für asiatische Hersteller aufgrund der hohen Bestellvolumen noch durchaus attraktiv bleibt, wird der restliche europäische Bedarf an Leiterplatten immer unattraktiver. Der Leiterplattenmarkt in Medizinelektronik, Militärelektronik sowie Luft- und Raumfahrt zerfällt immer mehr in kleinteilige Spezialanwendungen mit Sonderdesigns und -aufbauten.
High-Reliability-Anwendungen mit Dickkupferleiterplatten (>140 µm Kupferstärke) oder Semiflex-Anwendungen mit garantierter Anzahl von Biegezyklen beinhalten hohe produktionstechnische Risiken mit – für fernöstliche Dimensionen betrachtet – geringem Umsatzpotential. Das neben der Automobilindustrie mit 40% Marktanteil vermeintlich attraktivste Segment der Industrieelektronik stagniert aufgrund des verminderten Miniaturisierungszwangs technologisch im konventionellen Bereich einfacher zwei- bis vierlagiger Schaltungen.
Deren Produktion verspricht zumindest in den technologisch hochgerüsteten Produktionsstätten Asiens wenig Marge. Die gibt es für die asiatischen Hersteller aber in großen Volumen bei den technologischen Treibern Computer- und Kommunikation mit ihren immer höheren Anforderungen an Miniaturisierung bezüglich Leiterbahnbreiten, Mikrobohrungen, Flex- und Embedding-Technologien.
Und – hier ist die potenzielle Parallele zu der Bauteilknappheit bei den Kondensatoren – aufgrund ihrer fehlenden wirtschaftlichen Attraktivität drohen die europäischen Nachfrager ihren Status als Lead Customer zu verlieren.
Gleichzeitig droht unzähligen, weniger bekannten und eher mittelständisch geprägten Herstellern aus Fernost, deren Kapazitäten über ein engmaschiges Händlernetz ihren Weg nach Europa finden, eine Marktbereinigung, die die Liefersicherheit zusätzlich verschärft. Über kurz oder lang wird die Umweltverschmutzung in Fernost auch dort als Bedrohung für Menschen und Wachstum wahrgenommen werden müssen, so dass nicht nur schärfere Gesetze erlassen, sondern auch tatsächlich rigide umgesetzt werden.
Obwohl schlecht quantifizierbar, werden doch immer mehr Fälle bekannt, in denen speziell mittelgroße und kleinere Fertigungen aufgrund von Umweltverstößen einfach geschlossen wurden. Auch wird mehr und mehr die Sinnhaftigkeit der Subventionierung bestimmter Branchen hinsichtlich Profitabilität und Auswirkungen auf die Umwelt in Frage gestellt.
Während die oben genannten Prozesse nur allmählich und in Anfängen sichtbar sind, so liegen sie in einer betriebswirtschaftlichen und umwelttechnischen Logik, der sich speziell auch China wird unterwerfen müssen. Ganz zum Schluss sollten auch die abrupten Folgen aktueller politischer Entwicklungen bedacht werden, nach der die Unterbrechung von Warenströmen als politisches Druckmittel wieder in Betracht gezogen werden.
Ein Markt mit einer 2/3 Ressourcenabhängigkeit könnte hier sehr schnell in den Fokus politischer Entscheider geraten, zumal eine bedeutende Vergrößerung der Produktionskapazitäten in Europa sich unter den gegebenen Bedingungen äußerst schwierig gestaltet. Know-how für Produktion und Maschinen-Equipment für die komplexen Herstellprozesse sind verloren gegangen und Genehmigungsverfahren für den Aufbau von Fabs mit Galvanoanlagen und Abwasserverarbeitung dauern jahrelang.
„Think global, buy local“
Angesichts dieser Risiken bei einer so strategisch wichtigen und gleichzeitig betriebswirtschaftlich eher unbedeutenden Komponente (i.d.R. 5% der Kosten) an einer Baugruppe, fordere ich die Einkaufsverantwortlichen auf, sich wieder verstärkt strategische Partner unter den Leiterplattenherstellern vor Ort zu suchen. Nicht zuletzt aus umwelttechnischen Gründen sollte die Regel gelten: „Think global, buy local“.